Bundespräsident in Deutschland: Majestätsbeleidigung?

Foto: Christian und Bettina Wulff

Wie viel Meinungsfreiheit ist erlaubt? Der deutsche Bundespräsident Christian Wulff zeigt, dass Deutschland tatsächlich kein Hort der absoluten Meinungsfreiheit ist und geht wegen «Verunglimpfung des Bundespräsidenten» (Art. 90 StGB-DE) gegen eine bei Facebook veröffentlichte mutmassliche Fotomontage vor.

Mein deutscher Anwaltskollege Markus Kompa äussert sich mit passendem Zynismus bei TELEPOLIS dazu:

»Der Bürger Herr Christian Wulff hat einen Rochus auf einen anderen Bürger aus Zittau, welcher der Bürgerin Frau Bettina Wulff eine Kränkung zufügte. So soll der Unhold im Fratzenbuch ein offenbar gefotoshoptes Lichtbild zur Schau gestellt haben, welches des Bürgers Herrn Wulffens bessere Hälfte scheinbar bei einem seit 1945 in Deutschland unüblichen Gruß zeigte. […] Während tatsächliche Anwärter auf den deutschen Königsthron wie etwa der Prinz zu Hannover bei Unflat das bürgerliche Persönlichkeitsrecht zu bemühen und traditionell die Zivilgerichte anzurufen pflegen, will ausgerechnet der Bürger Herr Wulff das hoheitliche Sonderrecht der Majestätsbeleidigung fruchtbar machen. Diese heißt für den ersten Bürger im Staate inzwischen ‹Verunglimpfung des Bundespräsidenten› und ist in § 90 StGB neben der konventionellen Beleidigung besonders unter Strafe gestellt. […]»

Majestätsbeleidigung in der Schweiz?

Im schweizerischen Strafrecht ist mir kein direkt vergleichbarer Straftatbestand für den Bundespräsidenten (oder 2012 für Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf) bekannt.

Art. 296 StGB, der die «Beleidigung eines fremden Staates» pönalisiert, bezieht sich nicht auf den schweizerischen Bundespräsidenten und betrifft nicht die persönliche Ehre der offiziellen Repräsentanten eines anderen Staates.

wischen 1984 und 2010 kam es gemäss Bundesamt für Statistik (BFS, Microsoft Excel-Tabelle) zu keiner entsprechenden Verurteilung.

Der Straftatbestand wurde in der Schweiz zuletzt Ende 2010 öffentlich wahrgenommen, weil Libyen – damals noch unter der Herrschaft von Muammar al-Gaddafi – um die Strafverfolgung gegen den Genfer Politiker Eric Stauffer ersucht hatte.

National- und Ständerat lehnten Ende 2011 eine Petition ab, die gefordert hatte, Art. 296 StGB sei aufzuheben. Die jeweiligen Kommissionen für Rechtsfragen legten dar, die Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit – falls denn überhaupt eine solche gegeben sei – liege im überwiegenden öffentlichen Interesse zum Schutz der schweizerischen Aussenpolitik und sei insgesamt verhältnismässig.

Keine Berücksichtigung fand dabei, dass der Strafbestand in den 1930er-Jahren entstand, als sich deutsche und italienische Faschisten an der Medienfreiheit in der Schweiz störten.

Majestätsbeleidigung vs. Meinungsfreiheit

Straftatbestände dieser Art werden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seiner Rechtsprechung regelmässig kritisiert. Franz Zeller (Universität Basel) fasste diese Rechtsprechung in der Zeitschrift «Medialex» kürzlich wie folgt zusammen:

«[…] Ehrenschutzprivilegien für Staatsoberhäupter vertragen sich nicht mit dem Konzept einer demokratischen Gesellschaft – unabhängig davon, ob der Schutz einem republikanischen Staatschef […] oder dem König in einer institutionellen Monarchie […] eingeräumt wird. Im Gegenteil müssen sie sich bezüglich ihrer Amtsführung heftigere Vorwürfe gefallen lassen als Normalsterbliche.

Diese Rechtsprechung ist konsequent und verdient Zustimmung. Dies gilt auch für die Aussage des Gerichtshofs, die Meinungsfreiheit habe ihren grössten Wert gerade dort, wo sie an etablierten Grundsätzen rüttelt. Solche Kritik mag den Mächtigen und der Bevölkerungsmehrheit als grundlose Majestätsbeleidigung erscheinen, sie irritieren, stören und verletzen. Dies ist – solange kein Aufruf zu Gewalt erfolgt oder Hass gepredigt wird – kurzfristig hinzunehmen und längerfristig erwünscht. Freie Gesellschaften sind offen für Wandel und leben davon, dass hergebrachte Selbstverständlichkeiten ständig zur Diskussion gestellt werden. Sind sie noch zeitgemäss, werden sie sich auch gegen heftige Kritik behaupten können.«

(Franz Zeller: Kein erhöhter Ansehensschutz für König – auch provokative Vorwürfe zulässig, in: Medialex 2011/02, S. 97.)

Bild: Deutsches Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Steffen Kugler.

6 Kommentare

  1. 1. Würde sich etwas ändern, wenn man das nur nach allgemeinem Strafrecht (Beledigung) bewertet? D.h. ist es auch ein beklagenswerter "Eingriff in die Meinungsfreiheit", mit den Mitteln des Strafrechts zu verhindern, dass man öffentlich auf manipulierten Bildern mit Hitlergruß abgebildet wird?

    2. Wäre es aus Schweizer Sicht wünschenswert, dass Deutsche – Bundespräsidenten oder sonstige – nichts mehr dabei finden, wenn sie bzw. ihre Ehepartner öffentlich auf manipulierten Bildern mit Hitlergruß abgebildet werden?

    Herr Kompa kommentiert die Causa mit dem politischen Weitblick eines Meerschweinchens, und die Zustimmung, die er auf Telepolis dafür erntet, stammt von Leuten, die Herrn Wulff seine ausländerfreundlichen Bemerkungen nachtragen. Tolle Gesellschaft!

    1. @RA Christian Jacoby:

      Für Staatsoberhäupter sollten in einer Demokratie – so wie es auch der EGMR immer wieder betont –, keine Ehrenschutzprivilegien bestehen.

      Die Straftatbestände rund um die Ehrverletzungsdelikte halte ich in vielen Fällen für ungeeignet um gegen unliebsame Meinungsäusserungen vorzugehen. Einerseits führt ein strafrechtliche Vorgehen häufig nicht zur gewünschten Zielerreichung, andererseits sind die zivilrechtlichen Mittel üblicherweise effizienter, zumal der strafrechtliche Ehrbegriff zumindest in der Schweiz enger definiert ist als der zivilrechtliche.

      Unliebsamen Meinungsäusserungen kann man vielfach effizient durch Ignorieren oder eine eigene Meinungsäusserung begegnen. Ersteres vermeidet den Streisand-Effekt, Letzteres schafft die bisweilen gewünschte Klärung (wenn auch immer zum Preis der erneuten Publizität der unliebsamen Meinungsäusserung). Eine solche Klärung hätte ein sachlicher Hinweis von Bundespräsident Christian Wulff, wonach es sich beim inkriminierten Bild tatsächlich um eine Fotomontage handelt und er solche Fotomontagen verurteilt, ohne Zweifel herbeigeführt.

      Meinungsfreiheit ist im Übrigen nur dann ernst gemeint, wenn sie für alle Meinungsäusserungen gilt und nicht bloss für jene, die einem selbst genehm sind – ganz im Sinn des folgenden berühmten Evelyn Beatrice Hall-Zitates:

      «I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it.»

      1. 1. Zu den Erfahrungen, die u.a. der Beibehaltung der "Majestätsbeleidigung" im demokratischen Rechtsstaat zugrunde liegen, gehören in Deutschland auch die extremistischen Angriffe gegen den sozialdemokratischen ersten deutschen Reichspräsidenten Friedrich Ebert, an denen dieser buchstäblich zugrunde ging und die zugleich einen ersten dicken Sargnagel für die Demokratie in Deutschland bedeuteten (lesen Sie mal hier: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46407698.ht… ). Die Bundesrepublik verfolgt deshalb – sichtbar auch in verschiedenen anderen, natürlich durchaus wichtigeren Regelungen – das Konzept der "wehrhaften Demokratie". Dementsprechend wird der Bundespräsident in § 90 dStGB auch nicht um seiner selbst willen geschützt, sondern in seiner Eigenschaft als erster Repräsentant des demokratischen Staates.

        2. Ob eine "Meinungsäußerung" als solche zulässig ist oder ob sie – auch, aber nicht nur mit den Mitteln des Strafrechts – verhindert werden kann, entscheidet sich nicht an § 90 dStGB (der nur die Strafdrohung erhöht), sondern am allgemeinen straf- und zivilrechtlichen Ehrenschutz. In diesem Rahmen ist natürlich auch die Meinungsfreiheit gebührend zu berücksichtigen (wie auch ohne Ihren Hinweis auf Evelyn Beatrice Hall nicht zweifelhaft ist). Jemanden durch manipulierte Bilder in ein falsches Licht zu rücken, fällt aber nicht unter die Meinungsfreiheit.

        1. Friedrich Ebert zeigt, dass Strafrecht damals wie heute nicht verhindern kann, dass die Meinungsfreiheit gelebt wird. Ja, man kann sie fast bis zur Unkenntlichkeit einschränken, aber die Meinungen bleiben. Friedrich Ebert war ein unfähiger Politiker, der leider nie die Einsicht zum Rückzug aus der Politik zeigte.

  2. Auch mir ging die Strafnorm so manches mal durch den Kopf, besonders in den letzten Tagen, als diverse Bemerkungen den Boden zulässiger Satire zu verlassen schienen. Keine Person des öffentlichen Interesses – und schon gar nicht unser Präsident – muss stillschweigend alles hinnehmen, sondern wird von Zeit zu Zeit die Notwendigkeit sehen, gegen Beeinträchtigungen konsequent vorzugehen, so wie es etwa auch Unternehmen gegen die Verwässerung ihrer eingeführten Marken zu tun pflegen.

    Dem Herrn Wullf hätte ich dennoch eine gewisse Zurückhaltung empfohlen. Die Impertinenz, mit der er in feinster guttenbergscher Manier irgendwelche menschlichen, allzu menschlichen Fehler einräumte, die dann pflichtgemäß bedauert wurden, welche aber angeblich keinerlei rechtliche Relevanz entfalten würden, sehen nach konsequenter Fortsetzung der Salamitaktik aus. Über den Verstoß gegen einschlägige Grundsätze und Erlasse wird zu reden sein. Wenn man bedenkt, dass schon der Anschein von Vorteilsnahme zu vermeiden ist, muss über eine Entfernung aus dem Amt nachgedacht werden. Juristische Reaktionen auf den wütenden Spott der Bevölkerung wirken dagegen unbedacht und hilflos.

    Überdies kann ich mich nicht entsinnen, dass auch Frau Wullf zur Bundespräsidentin gewählt wurde.

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