Urteil: Facebook-Freunde ≄ Verschreckte Bevölkerung

Bild: Facebook-Like (Hand mit ausgestrecktem Daumen)

Ein Facebook-Nutzer war wegen versuchter «Schreckung der Bevölkerung» (Art. 258 StGB) verurteilt worden, nachdem er auf seinem Facebook-Profil folgende Mitteilung veröffentlicht hatte:

«[…] Ich vernichte euch alle, ihr werdet es bereuen […] jetzt kann euch niemand mehr schützen POW!!!!POW!!!!POW!!!!»»

Die Mitteilung konnte direkt nur von rund 290 Facebook-Freunden gelesen werden und richtete sich insbesondere an jene Freunde, die dem Facebook-Nutzer nicht zum Geburtstag gratuliert hatten. Der Facebook-Nutzer war in der Folge für 21 Tage (!) in Untersuchungshaft gesetzt und psychiatrisch begutachtet sowie mittels Strafbefehl durch die zuständige Staatsanwaltschaft verurteilt worden.

Das Bezirksgericht Zürich und das Obergericht des Kantons Zürich hatten den Schuldspruch erstaunlicherweise jeweils im Grundsatz bestätigt, unter anderem mit Verweis auf die Öffentlichkeit von Facebook durch die mögliche und nicht kontrollierbare weitere Verbreitung an andere Facebook-Freunde.

Reale und virtuelle Facebook-Freunde ≄ Bevölkerung

Nun hob das Schweizerische Bundesgericht das vorinstanzliche Urteil auf, weil sich die Mitteilung des Facebook-Nutzers nicht an die «Bevölkerung» im Sinn von Art. 258 StGB gerichtet hatte (BGer 6B_256/2014 vom 8. April 2015, Medienmitteilung):

«Der Begriff der ‹Bevölkerung› im Sinne von Art. 258 StGB erfasst nach seinem allgemeinen Sprachgebrauch zweifellos die Gesamtheit der Bewohner eines bestimmten, mehr oder weniger grossen Gebietes. Der Begriff der ‹Bevölkerung› im Sinne von Art. 258 StGB ist aber in Anbetracht der Einordnung dieser Strafbestimmung bei den Delikten ‹gegen den öffentlichen Frieden› weiter zu fassen. Eine ‹Bevölkerung› in diesem Sinne bildet auch die Gesamtheit der Personen, die sich, als Repräsentanten der Allgemeinheit, eher zufällig und kurzfristig gleichzeitig an einem bestimmten Ort befinden, beispielsweise in einem Kaufhaus, in einem öffentlichen Verkehrsmittel oder in einem Sportstadion.

Hingegen kann der Personenkreis, mit welchem der Urheber einer Äusserung durch Freundschaft oder Bekanntschaft im realen oder virtuellen Leben verbunden ist, nicht als ‹Bevölkerung› im Sinne von Art. 258 StGB angesehen werden, zumal hier ein Bezug zu einem bestimmten Ort fehlt.

Indem der Beschwerdeführer die inkriminierte Äusserung an seine rund 290 ‹Facebook›-Freunde adressierte und darin im Besonderen diejenigen Freunde ansprach, die ihm nicht zum Geburtstag gratuliert hatten, richtete er sich nicht an die ‹Bevölkerung› im Sinne von Art. 258 StGB.»

Das Zürcher Obergericht muss nochmals über die Angelegenheit entscheiden, wobei mit dem vorliegenden Bundesgerichtsurteil ein Freispruch im Sinn von «nulla poena sine lege» zu erwarten ist (Art. 1 StGB). Erfolgreich vor Bundesgericht war Anwaltskollege Dr. Elias Hofstetter.

Kein Entscheid bezüglich Öffentlichkeit von Face­book

Inwiefern Äusserungen bei Facebook, die sich nur an Freunde richten, als öffentlich gelten können, entschied das Bundesgericht nicht, so dass diesbezüglich weiterhin Rechtsunsicherheit besteht. Das Bundesgericht stellte aber immerhin klar, dass in Bezug auf Art. 258 StGB nicht der (weite) Öffentlichkeitsbegriff von Art. 261bis StGB (Rassendiskriminierung) massgeblich ist:

«Unter welchen Voraussetzungen Äusserungen im ‹Facebook› an ‹Facebook›-Freunde als ‹öffentlich› im Sinne des Tatbestands der Rassendiskriminierung […] zu qualifizieren sind und ob die inkriminierten Äusserungen in diesem Sinne öffentlich waren, ist hier nicht zu entscheiden, da vorliegend nicht Art. 261bis StGB zur Diskussion steht. Den Tatbestand der Schreckung der Bevölkerung gemäss Art. 258 StGB erfüllt nicht schon, wer durch öffentliche Äusserungen andere Personen in Schrecken versetzt. […]»

Im Ergebnis wird die Diskussion, inwiefern Äusserungen bei Facebook und anderen Social Media-Plattformen öffentlich sind, definitiv nicht mehr in erster Linie aufgrund der Rechtsprechung bezüglich Rassendiskriminierung geführt werden können.

PS: Bundesgerichtlicher Lecker­bissen für Seman­tiker

Für Semantiker bietet das Bundesgerichtsurteil übrigens einen besonderen Leckerbissen mit Verweis auf zahlreiche Wörterbücher:

«Unter der ‹Bevölkerung› sind nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ‹alle Bewohner, Einwohner eines bestimmten Gebietes› zu verstehen (DUDEN, Das Bedeutungswörterbuch, 4. Aufl. 2010). ‹Bevölkerung‹ meint ‹die Gesamtheit aller Personen, die in einem bestimmten Gebiet leben. Je nach Fragestellung kann ein solches die gesamte Erde umfassen (Welt-B.) oder sehr eng eingegrenzt sein (Stadtteil)› (BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE, 21. Aufl. 2006). Entsprechend werden die Begriffe ‹population› und ‹popolazione› in der französischen und in der italienischen Sprache definiert. ‹Population› meint ‹ensemble des personnes qui habitent un espace, une terre. La population du globe, de la France, d’une ville› (LE PETIT ROBERT, Ed. 2011). ‹Popolazione›bedeutet ‹la quantità delle persone che vivono in un determinato territorio: la p. della Franchia, di Milano› (DIZIONARIO DELLA LINGUA ITALIANA, ed. 2004 – 2005). Der Begriff der ‹Bevölkerung› wird aber mitunter auch in einem weiteren Sinne definiert. Gemeint ist danach die ‹Gesamtheit von Personen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt durch ihren Wohnsitz, ihre Arbeitsstätte oder ihre Staatsbürgerschaft einem bestimmten Gebiet zuzuordnen sind (räuml. Abgrenzung) oder die zu einer Gruppe gehören, die durch andere Kriterien (z.B. Sprache, Erwerbstätigkeit, ethn. Zugehörigkeit) definiert ist› (MEYERS ENZYKLOPÄDISCHES LEXIKON in 25 Bänden, 9. Aufl. 1972).»

(Via @dhuerlimann.)

Bild: Flickr / FACEBOOOK(LET), CC BY 2.0 (generisch)-Lizenz.

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