ACTA: Schweiz hält an Unterzeichnung fest

Foto: Kundgebung gegen ACTA vor dem Europäischen Parlament in Strassburg

Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) ist weltweit umstritten. Die Nationalräte Balthasar Glättli und Hugues Hiltpold gelangten deshalb mit nachfolgenden Fragen an den Bundesrat, das heisst an die schweizerische Bundesregierung:

Nationalrätliche Fragen zu ACTA

Nationalrat Hiltpold mit Frage 12.5010:

«Beabsichtigt der Bundesrat [ACTA] zu unterzeichnen? Wäre es nicht angebracht, die Unterzeichnung des Übereinkommens aufzuschieben und zuerst die Auswirkungen eines solchen Engagements zu untersuchen, insbesondere bezüglich Einschränkungen der Internetnutzung und der Meinungsäusserungsfreiheit?»

Nationalrat Glättli mit Frage 12.5040:

«Ist der Bundesrat […] bereit, auf eine Unterzeichnung zu verzichten und das Abkommen vorab der zuständigen Kommission zur Klärung offener Fragen vorzulegen?»

Bundesrätliche Antworten zu ACTA

Bundesrat hält grundsätzlich an ACTA-Unterzeichnung fest

Bundesrätin Simonetta Sommaruga hielt in ihrer Antwort insgesamt an der bereits bekannten offiziellen Position der Schweiz fest, das heisst der Bundesrat möchte die Unterzeichnung von ACTA weder verschieben noch darauf verzichten.

Im Wesentlichen antwortete Bundesrätin Sommaruga, ihr Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) nehme den internationalen Widerstand gegen ACTA sowie «die in den letzten Wochen manifest gewordene Verunsicherung über Acta» ernst. Das EJPD werde «die aufgeworfenen Fragen klären und die Entwicklung innerhalb der Europäischen Union, namentlich in Deutschland, verfolgen.» Sie wies weiter auf die Möglichkeit hin, dass parlamentarische Kommissionen den Bundesrat zur Beantwortung von Fragen einladen können (Art. 150 Abs. 1 Bst. a ParlG).

Ausserdem versicherte Bundesrätin Sommaruga, im Fall einer Unterzeichnung würde ein Vernehmlassungsverfahren durchgeführt und stellte dar, dass letztlich sowieso das Parlament über die schweizerische Ratifizierung von ACTA befinden müsse.

Weiterentwicklung von ACTA nach Ratifizierung?

Beide Nationalräte stellten der Bundesrätin jeweils eine weitere Frage. Nationalrat Glättli bezog sich auf die Weiterentwicklung von ACTA nach einer etwaigen Ratifizierung durch die Schweiz:

«[…] Ich habe eine Nachfrage, die in die Zukunft zielt, für den Fall, dass die Schweiz das Acta ratifizieren würde: Können Sie zusichern, dass die Übernahme einer rechtlichen Weiterentwicklung des Abkommens, wie sie ja in Artikel 36 in der deutschsprachigen Übersetzung durch den Rat der Europäische Union des Abkommens zu diesem gemischten Komitee vorgesehen ist und die das Abkommen wesentlich erweitern und vertiefen könnte, auch wieder nur unter Einbezug des Parlamentes stattfinden würde? Oder würde die Übernahme dieser Weiterentwicklung dann gewissermassen in Autonomie des Bundesrates stattfinden?»

Bundesrätin Sommaruga konnte diese Frage nur vermutungsweise beantworten. Sie betonte allerdings, der Bundesrat sehe wie berichtet keinen Handlungsbedarf gegen Filesharing, wobei es bei ACTA selbstverständlich um wesentlich mehr als nur diese Einzelfrage gehe (mit Hervorhebung):

«Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten, weil wir uns jetzt zuerst um die Ratifizierung und noch nicht um die Weiterentwicklung kümmern. Ich gehe aber davon aus, dass auch in unserem Parlamentsgesetz geregelt ist, wie weit die Kompetenz des Bundesrates geht, eine Weiterentwicklung eigenständig zu ratifizieren, und ab wann das Parlament wieder einbezogen wird. Der Bundesrat hat aber bereits in seinem Bericht zum Postulat Savary klargestellt, dass er im Bereich der Urheberrechtsverletzungen im Internet keine Massnahmen zu ergreifen gedenkt. Insofern hätte auch eine Ratifizierung von Acta für die Schweiz keine unmittelbaren Folgen.»

Einschränkungen der Internet-Nutzung durch ACTA?

Nationalrat Hiltpold zeigte sich erfreut, dass es dem Bundesrat mit der Unterzeichnung von ACTA zumindest nicht eile und fragte, inwiefern dem Bundesrat die Folgen von ACTA bezüglich Einschränkungen der Internet-Nutzung bewusst seien:

«[…] J’en déduis qu’il n’y a pas d’empressement de la part du Conseil fédéral à signer cet acte, ce qui me rassure dans un premier temps. Ma question supplémentaire est de savoir si le Conseil fédéral a bien conscience des conséquences que représente la signature d’ACTA en matière de restrictions à l’utilisation d’Internet.»

Bundesrätin Sommaruga verweis darauf, dass die Schweiz bis am 1. Mai 2013 Zeit zur Ratifizierung von ACTA habe, so dass genügend Zeit bleibe um offene Fragen zu klären. Man werde ausserdem wie bereits erwähnt eine Vernehmlassung zu ACTA durchführen, bei der allenfalls noch bestehende Befürchtungen vorgebracht werden könnten:

«J’aimerais tout d’abord vous dire que la Suisse a la possibilité, jusqu’au 1er mai 2013, de ratifier l’accord ACTA. On a donc encore le temps de clarifier certaines questions. De toute façon, je peux vous rassurer car, comme je vous l’ai dit, avant la ratification de cet accord, nous aurons une consultation qui permettra de formuler certaines craintes qui subsistent encore quant à cette ratification. Ce sera aussi le moment de prendre connaissance des réflexions qui ont été faites pendant la consultation.»

Fazit: ACTA-Unterzeichnung noch in diesem Jahr?

Im Ergebnis hält der Bundesrat grundsätzlich daran fest, ACTA unterzeichnen zu wollen, möglicherweise noch in diesem Jahr.

Diese Haltung überrascht nicht, denn sie entspricht der bereits bekannten offiziellen Position der Schweiz zu ACTA. Sie erstaunt allerdings angesichts der internationalen Kritik an ACTA und insbesondere den Entwicklungen im europäischen Ausland.

In diesem Kontext ist das grundsätzliche Ja der Schweiz zu ACTA zum jetzigen Zeitpunkt unverständlich und unnötig. Der Bundesrat hätt zumindest erklären können, die Unterzeichnung von ACTA erst nach Prüfung aller offenen Fragen zu erwägen.

Bild: Flickr / greensefa, «Greens/EFA MEPs protest ACTA», CC BY-SA 2.0 (generisch)-Lizenz.

7 Kommentare

  1. «Der Bundesrat hat aber bereits in seinem Bericht zum Postulat Savary [PDF] klargestellt, dass er im Bereich der Urheberrechtsverletzungen im Internet keine Massnahmen zu ergreifen gedenkt. Insofern hätte auch eine Ratifizierung von Acta für die Schweiz keine unmittelbaren Folgen.»

    ACTA ist doch ofiziell dafür gedacht, dass Urheberrechte nicht mehr verletzt werden. Auch nicht im Internet. Jetzt will der Bundesrat ACTA ratifizieren (wieso nicht einfach «unterschreiben»), jedoch Diese nicht in Tat umsetzen? Oder wollen sie ernsthaft nur gegen billige Kopien (nicht im Internet) vorgehen… in der Schweiz?!

    Wenn der Bundesrat ACTA unterschreibt, dann sind Sie doch VERPFLICHTET, ACTA auch umzusetzen?! Also gegen Urheberrechtsverletzungen JEGLICHER ART.

    Das verstehe ich nicht ganz. Kann mich mal jemand aufklären bitte?!!

    1. @Claudio Itri:

      Der Bundesrat hält an der Unterzeichnung von ACTA fest, doch die Ratifikation muss das Parlament genehmigen (Art. 184 Abs. 2 BV). Bislang bleiben der Bundesrat und andere ACTA-Befürworter tatsächlich eine Begründung schuldig, wieso die Schweiz ACTA ratifizieren sollte, obwohl sich dadurch angeblich gar nichts ändert. Die ACTA-Befürworter ausserhalb des Bundesrates zumindest glauben durchaus, dass sich dadurch etwas ändert, denn ansonsten würden sie nicht derart intensiv für ACTA lobbyieren.

      1. Ich danke Ihnen für die rasche Antwort!

        Falls jemals eine Begründung, zu diesem Punkt, seitens Bundesrat kommen sollte, wäre ich froh, wenn Sie uns alle darüber informieren könnten.

        Andere Frage: Kennen Sie viele ACTA-Befürworter? Ich jedenfalls kenne keinen Einzigen.

  2. Hallo Herr Steiner.
    Hier spricht Anonymous.
    Wir möchten uns bedanken dass sie in diesem Sumpf aus Gerüchten für ein wenig Klarheit schaffen. Gute Arbeit! Wir werden Ihren Blog desweiteren übrigens als Quelle angeben falls Fragen zu der Schweiz im Bezug zu ACTA kommen und hoffen, dass es Sie nicht stört.

    Wir sind Anonymous.
    Wir vergeben nicht den Lobbyisten die sich in die Politik einmischen.
    Wir vergessen nicht die Ungerechtigkeiten die überall auf der Welt passieren.
    Erwartet uns!

    1. «[…] Wir werden Ihren Blog desweiteren übrigens als Quelle angeben falls Fragen zu der Schweiz im Bezug zu ACTA kommen und hoffen, dass es Sie nicht stört.»

      Klar – so funktioniert das Internet, bislang jedenfalls noch …

  3. 1. ACTA kann man ganz leicht umgehen – und das wird dann garantiert auch gemacht. Also wird man die Leute aus dem offiziellen Internet verdrängen in TOR usw.. Da anscheinend der Bundesrat Null Ahnung von Computer und Internet hat und auf seinem realitätsfernen hohen Ross zu sitzen scheint, beschliesst er solcherlei Abkommen, welche die Privatsphäre und das Postgeheimnis aushebeln zu Gunsten der Interessen einiger Firmenmoloche http://fm4.orf.at/stories/1694349/ ! Es werden mit diesem Abkommen wohl kaum die Rechte der kleinen Künstler geschützt und durchgesetzt, sondern diejenigen der internationalen Monopole.

    2. Auf folgendem Kanal finden Sie fundierte Informationen betreffend das Abkommen – einfach nach ACTA suchen; alle Videos sind sehr aufschlussreich und sehenswert – die Stunde, um sie zu hören, lohnt sich bestimmt:

    http://www.youtube.com/user/SemperVideo#g/u

    3. Der EuGH hat zu Recht festgestellt: Die Überwachung von Internet-Usern ist rechtswidrig – und ich füge hinzu: «und verfassungswidrig (insb. Art. 13, aber auch Art. 16 und 17)». Der Staat hat für den Bürger da zu sein und nicht umgekehrt (so sollte es wenigstens sein, was aber mittlerweile ernsthaft bezweifelt werden muss). Es geht nicht an, alle Bürger unter generellen Verdacht zu stellen (hier: gegen das URG zu verstossen) und so die einschlägigen Artikel der StPO (insb. Art. 10 Abs. 1) auszuhebeln resp. zu umgehen. Ebensowenig hat der Staat die Aufgabe, für Firmen zu schnüffeln und seine Hoheit quasi privatrechtlichen Institutionen abzutreten.

    http://diepresse.com/home/techscience/internet/732299/EuGH_Ueberwachung-von-InternetUsern-ist-rechtswidrig

    4. 30’000 Personen waren bei der Fichendemonstration anwesend. Heute macht man das einfach per Speicherplatz…

    (nebenbei: http://www.seite3.ch/Snoopys+Wort+zum+Sonntag+Thema+heute+Psst+der+Staat+hoert+mit+/529042/detail.html – «Über 200’000 Fichen wurden bis heute angelegt, 50 Prozent mehr als noch vor fünf Jahren. Dafür gibt es keinen Anlass und ist darum genauso skandalös wie die Fichenaffäre in den 80er Jahren, wo auskam, dass der Staat 700’000 Schweizer ausspioniert hat.») Was in den Computern so alles gespeichert wird, weiss ja niemand…
    (Nebenbei: «BKA-Studie: Vorratsdatenspeicherung erhöht Aufklärungsquote nur um 0,06%»… siehe: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17482 – wenn die Bürger dann auf das TOR-Netzwerk umsteigen, wollen sie auch einen Trojaner montieren?)
    Der Staat soll sich auf seine Kernkompetenzen und -pflichten, auf seine Aufgaben konzentrieren!

    5. Der EU-Abgeordnete, Arif Kader, warf den Pickel hin, weil das Abkommen total undemokratisch ist…:

    http://www.youtube.com/watch?v=2Qspw9k4lo4

    6. Das Abkommen wurde jahrelang geheim und unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetüftelt – Mauschelei ist undemokratisch:

    http://www.youtube.com/watch?v=Vt0w8Dyg8uE

    7. Verschiedene Staaten haben sich mittlerweile vom Abkommen distanziert oder es zumindest auf Eis gelegt.

    8. Aus ACTA wird nun einfach IPRED. Das hat nichts mit Demokratie zu tun… Man trickst und täuscht:
    http://www.welt.de/politik/ausland/article13869951/Acta-steht-offenbar-europaweit-auf-der-Kippe.html
    Man könnte schon meinen, dass die Politiker das Volk als Schafe anschauen, die nicht denken können… Oder ist das einfach bloss masslose Hybris der Regierung?

    9. Ich habe nichts gegen das Urheberrecht und dessen Durchsetzung. Wenn allerdings die Industrie schlicht zu blöd ist, sich der Zeit anzupassen, dann hat sie ihre Daseinsberechtigung verloren. Es geht eindeutig zu weit, wenn man das Volk beschnüffelt und generell verdächtigt. Das bestehende URG reicht völlig aus zum Rechtsschutz. Das Abkommen ist sehr wahrscheinlich ganz bewusst derart schwammig gehalten, dass danach alles völlig willkürlich herausgelesen werden kann. Als langjährige rechte Hand eines Rechtsanwaltes weiss ich nur zu gut Bescheid, wie die Gesetze danach verdreht werden und die fundierten Einwände des Angeklagten nicht einmal mehr zur Kenntnis genommen, geschweige denn, wie es sich gehörte, juristisch widerlegt werden. Sowohl Wortlaut, Systematik, Teleologie und Historie samt Materialien werden bei Bedarf schlicht und einfach ignoriert und die rechtschaffenen Bürger kriminalisiert. Es reicht! Ich klage an: Den Bundesrat, wegen wiederholtem Verfassungsbruch und Missachtung der Rechte der Bürger, wegen Eidesbruchs und Hochverrat. Auch Max Frisch hat schon anfangs der 90er Jahre wohlbegründet und zu Recht festgestellt, dass in diesem Land Verfassungsbruch an der Tagesordnung ist…

    Es geht mir nicht darum, das Urheberrecht zu missachten, sondern einzig um die Bewahrung von Freiheit, Verfassung, Recht und Rechtsstaat sowie auch aus Sorge um die Zukunft unserer Nachkommen. Wir haben ein relativ freies Land geerbt; wohin wir mittlerweile geraten sind und was wir unseren Nachkommen überlassen, ist für jeden rechtschaffenen und freiheitsliebenden Bürger nur noch erschreckend und besorgniserregend. Freiheit (im Sinne Kants) ist das wichtigste Gut, welches man nicht einfach für zweifelhafte und einseitige Interessen opfern darf. Und schon gar nicht laufend weitere hoheitliche Akte an private Institutionen auslagern. Keine fremden Richter, tönte es einmal landauf, landab. Das ist lange her – und es ist allerhöchste Zeit, dass der Ruf wieder erschallt.

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