Verbot von Radarwarnungen: Wie öffentlich ist Facebook?

Am Dienstag hat in der Schweiz nach dem Ständerat auch der Nationalrat im Rahmen von «Via sicura» beschlossen, das Strassenverkehrsgesetz (SVG) unter anderem um den neuen Artikel 98a mit insbesondere folgender Bestimmung in Absatz 3 zu ergänzen:

«Mit Busse wird bestraft, wer […] öffentlich vor behördlichen Kontrollen im Strassenverkehr warnt, […].»

Was bedeutet Öffentlichkeit bei Facebook, Twitter usw.?

«Behördliche Kontrollen» meinen insbesondere Radarkontrollen. «Öffentlich» sind gemäss bundesrätlicher Botschaft unter anderem Warnungen, die via Internet verbreitet werden. Solche Warnungen werden nach Inkrafttreten des revidierten SVG strafbar sein, während nichtöffentliche Warnungen zulässig bleiben. SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher äusserte sich im Nationalrat für die zuständige Kommission wie folgt:

«[…] Nicht verboten ist die Warnung von Person A zu Person B. Verboten soll aber sein, wenn die ganze Öffentlichkeit über Facebook, Twitter oder über Internet über Radarstellen informiert wird. […]»

Ersteres stellt eine Selbstverständlichkeit dar, Letzteres wirft die Frage auf, was genau «öffentlich» in diesem Zusammenhang bedeuten soll. SP-Nationalrätin Graf-Litscher spricht von «ganzer Öffentlichkeit», was allerdings nicht dem gesetzlichen Wortlaut entspricht.

Soziale Netzwerke kennen eindeutig private Kommunikation und eindeutig öffentliche Kommunikation. Wo aber beginnt die Öffentlichkeit bei Kommunikationsformen wie beispielsweise geschlossenen Benutzergruppen oder geschützten Twitter-Konten, deren Kommunikation üblicherweise weder eindeutig privat noch eindeutig öffentlich erfolgt?

In der nationalrätlichen Debatte betonten die Befürworter aus den Mitte-Links-Parteien, bestraft werden sollten nicht Einzelfallwarnungen, sondern systematische Warnungen vor Radarkontrollen – ohne allerdings diese Einschränkung in den gesetzlichen Wortlaut aufzunehmen. Die Gegner aus FDP und SVP warfen Fragen bezüglich der Umsetzbarkeit auf, doch ist die Strafverfolgung ohne Zweifel auch im Internet und insbesondere in sozialen Netzwerken möglich.

Fazit: Rechtsunsicherheit bezüglich Öffentlichkeits­begriff

Beim Straftatbestand gegen Rassendiskriminierung (Art. 261bis StGB) gilt gemäss Rechtsprechung ein weiter Öffentlichkeitsbegriff:

Äusserungen sind «öffentlich», sofern sie «nicht in einem Umfeld erfolgen, das sich durch persönliche Beziehungen oder durch besonderes Vertrauen […] auszeichnet» (FAQ der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, EKR). Eine geschlossene Facebook-Gruppe zwecks Austausch von Radarwarnungen oder ein geschütztes Twitter-Konto mit Radarwarnungen wären demnach als öffentlich zu betrachten.

Der Öffentlichkeitsbegriff der Rassendiskriminierung kann meines Erachtens aber nicht direkt auf verbotene öffentliche Warnungen vor Radarkontrollen übertragen werden. Nach Inkrafttreten des revidierten SVG wird deshalb bis zu einer höchstrichterlichen Klärung eine erhebliche Rechtsunsicherheit dazu bestehen, was genau eine «öffentliche» Radarwarnung darstellt.

Vorsichtshalber ist der Öffentlichkeitsbegriff bis dahin weit auszulegen, da sowohl gemäss Bundesrat als auch National- und Ständerat tatsächlich jegliche Radarwarnungen, die nicht privat und im Einzelfall erfolgen, verboten werden sollen und sich die in der Debatte mehrfach geäusserte Beschränkung auf «systematische» Warnungen nicht im Gesetzeswortlaut findet.


Nachtrag vom 22. Dezember 2011

Im heutigem Tages-Anzeiger finden sich zwei weitere Definitionen von «öffent­lichen» Radarwarnungen in sozialen Netzwerken:

SP-Nationalrätin Graf-Litscher verwendet für Facebook einen sehr weiten Öffentlichkeitsbegriff …

«Tatsächlich stellt sich die Frage, ob Facebook-Einträge als öffentliche Warnungen gelten. Laut Graf-Litscher ist das der Fall. Und wenn jemand auf seinem privaten Facebook-Profil vor ‹Blitzern› warnt und nicht eigens eine Radarwarn-Gruppe gründet? ‹Dann hängt es davon ab, wie viel Facebook-Freunde jemand hat. Bei zwei Freunden ist es wohl nicht öffentlich, bei 1000 schon», sagt Graf-Litscher. Laut ihr werden die Gerichte Klarheit schaffen müssen.›»

… während das Bundesamt für Strassen (ASTRA) von einem restriktiven Öffentlichkeitsbegriff bei Facebook und Twitter ausgeht:

«Offensichtlich hat das Parlament einem Verbot zugestimmt, ohne genau zu wissen, was alles davon betroffen ist. Das Bundesamt für Strassen geht jedenfalls davon aus, dass nur für jedermann zugängliche Warnungen verboten sind. Solche, die sich an einen definierten Kreis richten, bleiben dagegen erlaubt. ‹Wer eine Facebook-Gruppe gründet, die von jedermann besucht werden kann, darf dort keine Radarwarnungen veröffentlichen. Wenn man aber erst Mitglied in dieser Gruppe werden muss, um den Inhalt zu sehen, dann schon›, sagt Sprecher Thomas Rohrbach. Analog sei das im Fall von Twitter.»

Bild: Flickr / John Talbot, «Speed of Light», CC BY 2.0 (generisch)-Lizenz.

7 Kommentare

  1. Schön dass sich ein Rechtsanwalt die Mühe nimmt seine Sichtweise zu diesem ärgerlichen Artikel 98a zu schildern. Eine Frage dazu: Kann man gegen den Entschluss des Parlaments das Referendum ergreifen?

    1. @Lukas N.:

      Eine Frage dazu: Kann man gegen den Entschluss des Parlaments das Referendum ergreifen?

      Nein, lediglich das gesamte revidierte SVG wird dem fakultativen Referendum (50'000 Unterschriften innerhalb von 100 Tagen nach der amtlichen Veröffentlichung) unterstehen.

      Persönlich halte ich das Verbot von Radarwarnungen für unsinnig. FDP-Nationalrat Markus Hutter drang mit seinem Hinweis auf den präventiven Charakter solcher Warnungen leider nicht durch:

      «[…] Es geht darum, dass Warnungen vor Radarkontrollen sehr wohl auch von Vorteil sein können. Nicht zuletzt alt Verkehrsminister Moritz Leuenberger hat das einmal in einem Fernsehinterview genüsslich dargelegt: Korrektes Fahren sei gerade dann, wenn eine solche Warnung vor einer Kontrolle passiert, tatsächlich die Folge. Ich erinnere Sie daran, dass die Behörden selbst den Präventiveffekt benutzen. Sie wissen alle, es gibt die Tafeln ‹Achtung Radarkontroll›; das sind behördlich fixierte Warnungen, und solche Warnungen sollen jetzt von Gesetzes wegen verboten werden.»

      Dito SVP-Nationalrat Max Binder:

      «Sollen Warnungen vor Verkehrskontrollen möglich oder verboten und damit auch strafbar sein? Die Minderheit Hutter Markus, die wir unterstützen, will solche Warnungen aus guten Gründen zulassen; sie haben nämlich auch präventive Wirkung. Die Behörden selbst nutzen diesen präventiven Effekt oft, indem sie mit dem Hinweis ‹Achtung Radarkontrolle› die Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführer auf eine kommende Kontrolle hinweisen.

      Wo liegt denn letztlich dieser Unterschied? Entscheidend für uns ist, dass beide Informationen der Sicherheit auf der Strasse dienen; beide Informationen – unabhängig davon, ob sie nun offiziell, ‹Achtung Radarkontrolle!›, oder von einem Privaten gemacht werden – bringen kein Geld ein. In der Kommission haben uns die Vertreter der Verwaltung gesagt, dass man sich nicht strafbar mache, wenn man per Telefon jemanden warne, dass an einer bestimmten Stelle eine Kontrolle stattfinde. Verboten ist die Warnung, wenn sie öffentlich gemacht wird oder eben gegen Entgelt, zum Beispiel über Internet, Facebook, Twitter usw. Diese Möglichkeiten will man per Gesetz abstellen. […]

      Zusammenfassend: Für uns ist entscheidend, dass die Wirkung auf die Verkehrssicherheit vorhanden ist. Für uns ist nicht entscheidend, wie hoch die Bussenerträge sind. Deshalb stimmt die SVP-Fraktion dem Antrag der Minderheit Hutter Markus zu. Diese ist übrigens in der Kommission ganz knapp unterlegen, nämlich mit 12 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung. […]»

  2. Mir scheint die Frage, was 'öffentlich' ist und was nicht, im Netzkontext sehr interessant und weitreichend zu sein. Als Nicht-Jurist ist mir allerdings nicht ganz klar, wie das funktionieren kann, dass ein Begriff je nach Fragestellung anders definiert wird (hier also: Verkehrsrecht vs. Antirassismusfragen. Es gibt da ja noch andere Rechtsgebiete, die davon betroffen sind, das Urheberrecht (Privatnutzung etc.) etwa oder das Arbeitsrecht (Loyalitätsfragn etc.). Gibt es zu dieser Frage eigentlich schon Gerichtsurteile (in der Schweiz oder anderswo)?

  3. Man fragt sich schon, wenn man die Radarkontrollen in der Schweiz beobachtet, ob es denn um Verkehrssicherheit oder um Abzocke geht. Nichts gegen Geschwindigkeitsmessungen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit. Wenn aber wie hier bei uns im Aargau die Messgeräte mit Geheimdienstmethoden getarnt und versteckt werden, hat dies nichts mehr mit Sicherheit zu tun, sondern man will doch nur dem Bürger das fehlende Budget aus der Tasche ziehen.

    Beispielsweise ist es keine Seltenheit, dass Radargeräte mit Tarnnetzen im Gebüsch versteckt werden, Blitzer in Strassenleitpfosten oder Müllkübel verbaut werden. Polizei und Zoll verstecken sich hinter dem Gebüsch oder an Kreisverkehren und kontrollieren mit Fern und Nachtsichtgeräten die Einhaltung der Gurtpflicht.

    Solange die Polizei solche Methoden anwenden darf, kann man doch der Öffentlichkeit nicht verbieten sich vor allfälligen Kontrollpunkten zu warnen.

    Nicht nur, dass diese Warnungen dazu beitragen das Tempolimits eingehalten werden, im schlimmsten Fall werden sogar Auffahrunfälle vermieden. Denn wird ein Messkasten vom Fahrer wahrgenommen, drückt diese, ob nun zu schnell oder nicht, in der Regel fast vollautomatisch auf die Bremse und bremst drastisch ab.

    Sicherlich lässt sich über diese Meinung streiten. Ich finde Kontrollen im fairen Umfeld sinnvoll, aber nicht mit dieser "Stasimethodik" wie sie hier entsteht.

    Zum Abschluss noch:

    Was wenn das "Radarwarnportal" auf einem Westsamoanischen Server gehostet wird? Dies lässt sich alles realisieren und auch eine anonyme Anmeldung mit einem Facebook Account wäre denkbar. Somit wäre dieses Gesetz nicht nur überflüssig sondern auch nicht kontrollierbar, ausser man würde Zensurmethoden wie in China anwenden.

    Machts gut und fahrt anständig.

    Besinnliche Festtage.

  4. Frage, so ein paar Jahre später: Wie ist mittlerweile die Lage? Verschärft oder entspannt?

    Wäre es beispielsweise erlaubt mit dem Satz in der Facebookgruppe für eine grosse Hochzeit zu schreiben:

    Wir raten allen Hochzeitsgästen, (im Kanton XX) sich strikte an die Geschwindigkeitsvorgaben (im Baustellenbereich) zu halten.

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